Kurzfassung DI Bente Knoll
Verkehrs- und Mobilitätserhebungen. Einführung in Gender Planning
Die vorliegende Dissertation mit dem Titel "Verkehrs- und Mobilitätserhebungen. Einführung in Gender Planning" beschäftigt sich mit den Zusammenhängen von Gender - dem sozialen Geschlecht" - und Planung. Ziel ist es die Relevanz und Bedeutung von Gender in planerisch tätigen Organisationen, in Planungsdiskursen sowie in Planungsprozessen aufzuzeigen. Die Genderperspektive einzunehmen bedeutet einerseits die bestehenden Geschlechterverhältnisse und Hierarchien zu thematisieren und andererseits aktiv an einer Veränderung hin zu mehr Geschlechter¬gerechtigkeit beizutragen.
Im ersten Kapitel Gendertheoretische Positionierungen werden die feministisch¬theoretischen Grundlagen vorgestellt, auf denen die Arbeit aufbaut. Feministische Forschung und Genderforschung richten ihren Blick auf die unterschiedlichen Lebensrealitäten von Menschen und thematisieren Geschlechterverhältnisse, -zu¬schreibungen und -konstruktionen. In einem Oberblick werden die Entwicklungs¬linien der feministischen Planung nachgezeichnet, wobei der Schwerpunkt auf der Neuen Frauenbewegung seit den 1970er Jahren im deutschsprachigen Raum liegt.
Das zweite Kapitel Gender / Planning zeigt auf, dass Planung immer eingebettet in den bestehenden Geschlechterverhältnissen, Geschlechterzuschreibungen und -konstruktionen unserer Gesellschaft stattfindet. Planung wird von Menschen gemacht und diese bewegen sich innerhalb von Organisationen, sind in und durch Organisationen, wie Schuten und Universitäten, Fachhochschuten ausgebildet, arbeiten in öffentlichen Verwaltungen, in Verbanden, in Unternehmen, in politischen Organi¬sationen. Mit Hilfe einer - erstmals in diesem Umfang für Osterreich vorliegenden - quantitativen Gender Analyse der Akteurlnnen jener Organisationen, die in Oster¬reich verkehrsplanerische Maßnahmen konzipieren, planen und umsetzen, wird das ungleiche Geschlechterverhältnis zahlenmäßig deutlich. Wie die Arbeit zeigt, bildet sich Geschlecht in Organisationen nicht nur durch das biologische Geschlecht der Akteurlnnen ab, sondern Geschlechterkonstruktionen sind in internen Ablaufen, in der Arbeitskultur, in der Art und Weise, wie Frauen und Männer wahrgenommen werden, eingeschrieben.
Planung passiert immer eingebettet im fachlichen Diskurs, Lehrmeinungen, so genannte Planungsgrundsatze, Planungsmoden aber auch die Ideen und Visionen der "großen Meister" haben Einfluss auf die Planung. Gerade im planerischen Fach¬diskurs gibt es eine Vielzahl von Annahmen, in denen Geschlechterkonstruktionen oft implizit ("Wir planen ja für alle Menschen") - manchmal auch explizit ("Die Kinderwagenrampen für die Frauen") eingeschrieben sind. Nicht zuletzt verortet sich Planung - ob gewollt oder nicht - auch innerhalb des wissenschaftlich-akademischen Diskurses, meist - als angewandte Ingenieurwissenschaft - an der Schnittstelle zwischen "den Gesellschaftswissenschaften" und "der Technik".
Planungsprozesse in Osterreich sind bestimmt und beeinflusst von einer Vielzahl an normativen Vorgaben, wie den Raumordnungs- bzw. Raumplanungsgesetzen sowie der Bauordnungen der einzelnen Bundesländer. Gesetzliche Vorgaben sind nicht geschlechtsneutral, spiegeln sich doch traditionelle Konzeptionen von wohnen, arbeiten, etc. auch in den Vorgaben wider. Baulich-räumliche Strukturen, infrastruk¬turelle Maßnahmen i.w.S., aber auch Plane sind als quasi ..Produkte", Ergebnisse von Planungsprozessen, die eingebettet in Planungsdiskursen in und durch verge¬schlechtlichte Organisationen "erzeugt" werden, zu verstehen. Daher sind auch in diesen Strukturen und Rahmenbedingungen Geschlechter- und somit Machtverhält¬nisse eingeschrieben.
Schematisch und konzeptuell wird in diesem Kapitel herausgearbeitet, wie die Gender¬perspektive in die Planung eingebracht werden kann und muss, wie Gender Planning umgesetzt werden kann und muss, um dem Ziel der Geschlechtergerechtigkeit naher zu kommen. Eine unterstutzende Strategie zur Veränderung dabei ist Gender Mainstreaming. Als horizontales Ziel der Europäischen Union formuliert, bringt Gender Mainstreaming die Perspektive der Geschlechterverhältnisse in alle politischen (und so auch in alle planerischen) Prozesse und zielt auf Geschlechtergerechtigkeit ab. Gender Mainstreaming als Strategie ist in Osterreich sowohl auf Bundes- als auch auf Bundesländerebene in diversen Beschlüssen formuliert.
Im dritten Kapitel Verkehrs- und Mobilitätserhebungen werden an einer verhaltens¬bezogenen Methode zur Verkehrserhebung, nämlich der Haushaltsbefragung, geschlechtsspezifische Zuschreibungen und eingeschriebene Geschlechterkon¬struktionen aufgedeckt. Als konkrete Beispiele werden aktuelle Mobilitätserhebungen aus Osterreich und Deutschland, wie die "Verkehrserhebung Oberösterreich" (2001), die bundesweite Erhebung "Mobilität in Deutschland" (2002) sowie die "Mobilitätsbefragung Niederösterreich" (2003) herangezogen.
Die feministische Analyse zeigt, dass sich nicht erst in den Auswertungen und Interpre¬tationen der Daten sondern bereits im Fragebogen Vereinfachungen und Verkürzungen finden, die wesentliche Aspekte des Mobilitätsverhaltens vor allem von Menschen, die Betreuungspflichten für andere Personen im Alltag wahrnehmen, ausblenden. So werden durch die exemplarisch vorgestellten Mobilitätserhebungen kurze Wege, Begleitwege und komplexe Wegeketten nicht adäquat erhoben. Nebenbei-Wege, wie auf dem Weg zum Arbeitsplatz noch schnell in die Reinigung sind ein wesentlicher Teil der Alltagsmobilität, kommen aber in den Auswertungen durchwegs nicht vor. In den Kategorien, die bei den so genannten ,,Wegezwecken" zur Auswahl stehen, spiegeln sich patriarchale Lebensentwurfe wider: Wege, die mit Haus- and Versorgungsarbeit zusammenhangen, sind verkürzt dargestellt bzw. ganz ausgeblendet. Die gesell¬schaftliche Arbeit, die aufgrund der herrschenden Geschlechterordnung tendenziell Frauen zugewiesen wird, bleibt unsichtbar and kommt in den Auswertungen nicht vor. Bei der Auswertung and Interpretation von Mobilitätserhebungen wird meist nicht nach Geschlechtern and/oder Lebenssituationen differenziert. Auf die Wechselwir¬kungen zwischen Siedlungsstrukturen bzw. Infrastrukturangeboten and Verkehrsge¬schehen wird bei Auswertungen and Prognosen in der Regel ebenfalls nicht einge¬gangen. Die feministische Analyse macht deutlich, dass mit den gängigen Methoden wesentliche Informationen zum Mobilitätsverhalten von Menschen nicht erhoben and nicht ausgewertet bzw. interpretiert werden können. Der Verkehrs- and Sied¬lungsplanung stehen somit nicht alle relevanten planerischen Grundlageninforma¬tionen zur Verfugung.
Diesem Defizit kann durch die Entwicklung einer neuen Methode entgegengesteuert werden. In einem empirischen Teil wird die Methode "Wegenetz-Analysen mit den Alltagswege-Planen" vorgestellt, eine gendersensible Methode zur Erhebung der Alltagsmobilität von Menschen, kombiniert mit der Erfassung von baulich-räum¬lichen Strukturen. Diese gendersensible Methode liefert Informationen zur geschlechterspezifischen Alltagsmobilität and auch mehr Informationen zu den Hintergründen der Mobilität von Menschen and zeigt, dass Mobilität vielfältig ist and dass täglich viele Wege mit ganz unterschiedlichen and oft kombinierten Wegezwecken von Menschen zurückgelegt werden.
Anhand von exemplarischen Beispielen in einem innerstädtischen Gebiet in Wien werden die vielfältigen Mobilitätsmuster and Wegeketten von Frauen, Männern and Jugendlichen auf Planen visualisiert and im eigentlichen Sinne nachgezeichnet. Diese explorative Studie stellt einen ersten Beitrag dar, wie Genderaspekte in die Methoden der Mobilitätserhebung eingebracht werden können.