Kurzfassung DI Dr. techn. Harald Frey
In der Literatur finden sich mehrere Hinweise zu sprachlichen Metaphern, die das Wirtschaftssystem, Finanzinstitutionen und Konzerne hinsichtlich ihres Wachstumszwanges mit der Ausbreitung eines bösartigen Tumors vergleichen. Krebsmetaphern wurden bereits seit jeher für die Beschreibung des Nichteinhaltens von Grenzen und deren Überschreiten verwendet. Die metaphorische Logik kann dazu genutzt werden, Relationen zu beschreiben und damit helfen, Schwächen der traditionellen Wissenschaftssprachen zu überwinden. Die zu überprüfende zentrale These der Arbeit soll zwischen dem Wachstum von Konzernen und Krebs, wie er in lebenden Organismen metastasiert, nicht nur eine analytische Isomorphie aufzeigen, sondern diese empirisch belegen. Grundlage dafür bildet die Erfahrung der evolutionären Erkenntnistheorie, dass grundlegende Gesetzmäßigkeiten bereits in tiefer liegenden Schichten der Evolution vorhanden sind. Die einzige Verpflichtung der Konzerne besteht gegenüber ihren shareholdern im Streben nach maximalen Gewinn. Diesem permanenten Wachstumsdrang werden alle anderen Werte untergeordnet. Der Konzern bedient sich in diesem Ausbeutungsprozess nicht nur politischer und rechtlicher, sondern vorallem technischer Strukturen. Die transnationalen Konzerne sind bei ihrem Wachstum von den globalen Infrastrukturnetzwerken abhängig. Schnelle Verkehrsinfrastrukturen forcieren Konzentrationsprozesse und erhöhen den Radius der Erreichbarkeit sowohl für die Beschaffung von Rohstoffen als auch der Warenverteilung. Die Erhöhung der Transport- und Reisegeschwindigkeiten in den vergangenen Jahrzehnten hat zur Dominanz großer Konzernstrukturen über lokale Wirtschafts- und Ressourcenkreisläufe beigetragen. Kapital kann durch die weltweit elektronische Vernetzung ohne Reibungsverluste bewegt werden. Zwingendes Wachstum als Charaktereigenschaft der Konzerne findet sich analog bei bösartigen Tumoren im menschlichen Organismus. Krebszellen lösen sich dabei aus dem Zellverband mit ihren Nachbarzellen heraus und verfolgen nur mehr unbegrenztes Wachstum als Ziel. Dafür benötigen sie sowohl Raum als auch Energie für ihre Versorgung. Krebszellen metastasieren deshalb und bauen ein eigenes Versorgungssystem auf (Tumorangiogenese). Unter Anwendung der Dynamic Energy Budget Theory (DEB) von Kooijman (2000) haben van Leeuwen et.al. (2003) ein Tumormodell entwickelt, welches speziell die Interaktion von Tumor und Wirt betrachtet. Dabei zeigt sich, dass der Tumor, ähnlich wie die Konzerne, sein Wachstum durch (im Vergleich zum Wirt) verringerte Wachstums- und Erhaltungskosten forciert. Diese Externalisierungsprozesse verhelfen auch den Konzernstrukturen zu ihrem Wachstum. Exemplarisch werden für Konzerne externalisierte Kosten dargestellt. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass nur ein Teilbereich dieser Kosten bekannt ist. Für die anderen Indikatoren der externalisierten Konzernkosten wurden Abschätzungen getroffen. Analog zum Tumormodell wurden diese Kosten den Kategorien von Wachstums- und Erhaltungskosten zugeordnet. Anschließend wurde das Tumormodell, das im Wesentlichen auf den Wachstumsgleichungen von Bertalanffy basiert, so modelliert, dass die Wachstumsverläufe des Gewinns, des Umsatzes und des Anlagevermögens der Konzerne abgebildet werden. Über die Abschätzungen zur Größenordnung der externalisierten Kosten werden die Parameter für Wachstums- und Erhaltungskosten entsprechend verändert und dargestellt, wie hoch der monetäre Anteil externalisierter Kosten am Gewinn bzw. Anlagevermögen ist. Es zeigt sich, dass die jährlich erwirtschaften Gewinne der untersuchten Konzerne zwischen 68% bis über 110 % auf externalisierten Kosten beruhen. Eine Internalisierung dieser Kosten bedeutet durchschnittlich eine Stagnation des Anlagevermögens auf dem Niveau der 1970-1980er Jahre. Die 100 profitabelsten US-Konzerne haben 83% ihrer Wachstumskosten und 73% ihrer Erhaltungskosten nach der vorliegenden Abschätzung externalisiert. Unter Berücksichtigung der Wirksamkeit der Parameter ergibt sich, dass rund 130% ihrer jährlichen Gewinne externalisierte Kosten sind. Mit anderen Worten müssten diese Konzerne ihre jährlichen Gewinne und zusätzlich 30% an die Gemeinschaft abliefern. Eine Kosteninternalisierung bewirkt eine Begrenzung der Vermögenswerte auf dem Wert des Jahres 1969. Lösungen orientieren sich an der naheliegenden Internalisierung von Kosten durch Abgaben, Steuern, usw., dem Rückbau konzernrelevanter Verkehrsinfrastruktur, die Einführung der so genannten "Tobin-Steuer", der flächendeckenden Einführung lokaler Währungen und der Einführung neuer Indikatoren anstelle des BIP (z.B. Index of Sustainable Economic Welfare). Verstößt eine Kapitalgesellschaft gegen Regeln und Gesetze muss sie rechtlich ausgelöscht werden. Der Staat muss in der Lage sein, basierend auf nationalstaatlichen, demokratischen Prinzipien, Einfuhrverbote von Produkten, die Sozial- oder Umweltstandards widersprechen, zu verhängen. Es wurde dargelegt, dass zwischen dem Wachstum der Konzerne und jenem bösartiger Tumore eine nicht nur qualitativ-analytische sonder auch empirisch belegbare Analogie existiert. Die vorliegende Arbeit liefert einen Beitrag auf die verstärkte Berücksichtigung externalisierter Kosten von Konzernen. Die Verknüpfung von Erkenntnissen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen (Technik, Wirtschaft, Biologie, Medizin) liefert dafür notwendige Werkzeuge. Das Verantwortungsbewusstsein der Techniker in diesem Prozess, ist von relevanter Bedeutung für zukünftige Entwicklungen. Wissen über die Wirkungsmechanismen dynamisch rückgekoppelter Systeme und die Verknüpfung wissenschaftlicher Disziplinen im Sinne eines Erkenntnisgewinns sind von Bedeutung.